Deutschland – Heimfahrt im Zickzackkurs

Mit einem ungewohnt mulmigen Gefühl im Bauch atmen wir noch einmal tief durch und fahren die letzten Meter über den Odergrenzfluss. Bereits von weitem schimmert der Grenzstein schwarz, rot, gold und ist das Zeichen dafür, dass wir Deutschland nun erreicht haben. Ein Gefühl das sich kaum beschreiben lässt. Einerseits ist sie da, die Freude auf das Wiedersehen mit der Familie, den Freunden und Bekannten. Andererseits hat man auch etwas Wehmut im Bauch, denn das Abenteuer nähert sich so langsam dem Ende und unser täglich Sonntag ist fast vorbei. Doch das Urlaubsrad rattert noch etwas, bevor es in ein paar Wochen ganz zum Stillstand kommt. So fahren wir doch bestens gelaunt und ganz gemächlich unsere ersten 20 km auf dem Deich entlang der Oder und lassen die friedlich blühende Landschaft auf uns wirken. Diese ist recht dünn besiedelt und außer ein paar Charolais-Rindern, die auf den satten grünen Weiden ihre Mäuler stopfen, sind wir für uns allein. Etwas später schlagen wir die Kurve und fahren den R1 Radweg in Richtung Berlin.

Unsere Route führt über sanfte Hügel und dichte Wälder, die märkische Schweiz lässt grüßen. Vorbei an Pferdekoppeln und etwas versteckt finden wir einen ersten tollen Platz für uns und unsere Zelte. Ein kleiner See von Wald umgeben ist der perfekte Ort, an dem wir eine unglaubliche Ruhe erleben. Tags später löst sich diese ganz plötzlich in Luft auf, denn wir nähern uns immer mehr den Ballungsraum der Hauptstadt. Wir steuern gen Havel, wo wir uns an einem kleinen Badestrand die Zeit vertreiben und ein erstes Sonnenbad genießen. Am Nachmittag landen wir bei unseren ersten deutschen Gastgebern Bodo und Britta, deren kleines Wochenendhäuschen in einer Kleingartenkolonie am Rande Spandaus liegt. In den Sommermonaten leben sie in ihrer blumigen Wohlfühloase, die uns zu einem gepflegtem Faulenzia einlädt. So legen wir die Beine hoch und die beiden sich so richtig ins Zeug. Bodo kocht eine herrlich mundende Bolognese und am Morgen ist der Frühstückstisch mit frischem Körnerbrot und allerlei Käsesorten gedeckt. Kaum zu glauben aber wahr, zwei völlig wildfremde Menschen verwöhnen uns nach Strich und Faden und lassen ihre Gastfreundschaft ganz deutlich spielen. Danke Britta und Bodo, welch perfekte Gastgeber ihr wart!

Völlig aufgeregt und mit pumpendem Herz verlassen wir das kleine Paradies und steuern auf unser nächstes Zwischenziel zu. Die Nation of Gondwana, ein klein aber OHO Festival in der Nähe von Berlin soll der Anlass dafür sein, dass wir einige unserer Freunde endlich wiedersehen. Wie schon in den Jahren zuvor, zieht uns das Paralleluniversum mit feinster Musik, netter Deko als auch vielen verrückt bunten und netten Menschen in seinen Bann. Ein grandioses und unvergessliches RAMBAZAMBA-Wochenende mit Freunden, Sekt und Co, das uns noch lange in Erinnerung bleiben wird. Und weil das noch nicht genug ist, geht’s anschließend gemeinsam an die Ostsee, wo wir auf der Insel Rügen und im Sand wälzend eine gepflegtes Radlpäuschen einlegen. Auf der Tagesordnung stehen Sonne satt, warmes Wasser und Fischbrötchen bis sie aus den Ohren quillen. Nach einer Woche Chillmodus, trennen sich hier unsere Wege. Silvio macht mit einem Vierradkasten gen Heimat, für ihn ist es somit das Ende dieser langen und abenteuerlichen Reise. Ich dagegen habe noch genügend Zeit und schwinge mich vorerst ein letztes Mal auf meinen Drahtesel. Nach über fünfhundert Tagen zu zweit gilt es nun die letzten Kilometer allein zu radeln.

Für die Fahrt gen Süden habe ich mir den Oder-Neiße Radweg ausgesucht. Er soll nicht nur schön, sondern auch weniger frequentiert sein, als beispielsweise der Elbe-Radweg. So führt mich meine Route zunächst durch den Anklamer Stadtbruch, den größten Moorwald des Landes. Über einhundert Brutvogelarten haben hier ein lauschiges Plätzchen und somit ihren Lebensraum gefunden. Ein Hochstand bietet nicht nur den erhofften Schatten, sondern auch eine perfekte Aussicht auf dieses riesige Naturschutzgebiet. Über Ueckermünde ratternd lande ich später am Stettiner Haff, das zu einem letzten Kopfsprung einlädt. Die Abkühlung tut saugut, denn es wird zunehmend heißer und ich fühl mich bereits am Mittag wie durch den Kakao gezogen. Je weiter südlich ich fahre, desto höher klettert das Thermometer, das mittlerweile um die 34°C anzeigt und mich hin und wieder an das Outback erinnert. Vom Wind getrieben erreiche ich dann die Oder, die mich bei der Bruthitze immer wieder zum Baden einlädt. Eine wirkliche Erfrischung ist dies aber nicht, denn der Fluss führt mit 1,40m den niedrigsten Wasserstand seit Jahren und ist nun warm wie Blubberplärre. Entlang des Flusses lassen sich zudem richtig schöne Campspots finden. So schlage ich mein Zelt direkt am Ufer oder an einer idyllischen Sandbucht am Helenesee nahe Frankfurt/O. auf.

Anfangs genieße ich noch das Alleinsein, doch wenig später gesellt sich eine Familienbande aus Frankfurt zu mir und bietet beste Unterhaltung. So wird aus einem kleinen Plausch ein rund gelungener Abend mit allem was dazu gehört. Gemeinsam tauschen wir Geschichten aus und ich erfahre einiges über die Hochwasserkatastrophe von 2007. Nach Dutzenden Rum Colas und Stunden später – es ist bereits Nacht – verabschiedet sich die Familie mit einer frischen Kiwi, 1L Cola für die Weiterfahrt und 40 Euro in bar für den Kauf einer neuen Sim Karte von mir. Kopfschüttelnd und dankend lehne ich ab, aber sie beharrt darauf und ich komm nicht drum herum. Nach dem Abschied bin überwältig und allein mit dem Gedanken, was sich hier gerade abgespielt hat. Ein richtig toller Abend und eine unglaubliche Gastfreundschaft, die ich sonst nur vom Reisen her kenne. Nach einem Morgenbad im klaren See starte ich frisch, munter und bestens gelaunt wieder Richtung Oderdamm. Vorbei an Sonnenblumenfeldern und einer Herde von über sechshundert Schafen durchkreuze ich Eisenhüttenstadt und lande wenig später auf dem Neiße-Radweg. Allein und mit etwas weniger Gepäck als sonst fahren sich die Kilometer nur so weg. In dieser Woche fahre ich meinen persönlichen Rekord von 145 Km, kaum zu glauben bei dieser Affenhitze.

An einem Tag lässt die Beschilderung des Radweges etwas zu wünschen übrig und mich dummerweise etwas verfranzen. So warte ich ein paar Minuten lang auf einen Gleichgesinnten, den ich kurz zuvor überholt habe. Wenig später trudelt der Herr völlig tiefenentspannt ein und wir kommen sofort ins Gespräch. Martin sein Name ist bereits 74 Jahre alt und bringt es mit seinem Rad auf immer noch unschlagbare 90 Km am Tag. Er ist fit wie ein Turnschuh, zudem noch äußerst sympathisch und so fahren wir gemeinsam rund zwei Stunden lang bis ins kleine Örtchen Forst. Leider trennen sich hier wieder unsere Wege, denn für ihn geht es mit dem Zug und für mich noch bis Bad Muskau weiter. Landschaftskünstler Hermann von Pückler-Muskau hat hier einen tollen Park geschaffen, wo für mich die Fahrt am Neiße Radweg leider schon wieder aufhört. Auf dem Fläming-Radweg schlage ich nun landeinwärts gen West durch Spremberg zum Lausitzer Seenland. Um das zwischen Dresden und Berlin liegende Städtchen Senftenberg liegen viele glasklare Seen die mit ihren weißen Sandstränden nicht nur mich, sondern auch zahlreiche Urlauber anlocken. Wo früher die Förderung der Braunkohle das Landschaftsbild bestimmte, ist in den vergangenen Jahren durch Flutung der ehemaligen Tagebaue ein riesiges Erholungsgebiet entstanden. Schon immer mal wollte ich hier her und nun führt mich ein feinst asphaltierter Radweg mitten durch die schöne Seenlandschaft. Die Puderzuckerstrände sind teilweise so lang, dass man ganz entspannt ein Plätzchen zum Nacktbaden findet. Die Karre also abgestellt und rein in die „kalten“ Fluten. Das Wasser ist so klar, dass man durchaus einige Meter in die Tiefe schauen kann, tatsächlich auch eine richtig schöne Abkühlung.

Weiter geht´s nach Leipzig, wo mich nicht nur meine Ellis, sondern auch Silvio, einige meiner liebsten Freunde nach über siebzehn Monaten in Empfang nehmen. Es herrscht Bombenstimmung, die Fleischspieße drehen sich brutzelnd am Spieß, die Spirituosen liegen eisgekühlt in der Schubkarre und landen wenig später auch schon in unseren Gläsern. Rundum ein wirklich gelungener Willkommenseinstand nach so langer Zeit auf dem Sattel. Doch ein paar Kilometerchen sind es noch, genauer gesagt 35, bis ich meine Heimatstadt Halle/Saale erreicht habe. So schwingen wir uns tags später mit leichtem Kopfbrummel, aber dennoch bestens gelaunt, auf unsere Lieblingsstücke und kurbeln entlang der weißen Elster Richtung Saalestadt. Noch ein letztes Mal steigt der Puls in die Höhe und dann sehen wir schon von weitem und winkend unsere ersten Freunde. Nach Jubel, Freude und kräftigen Knuddeldrück, begleitet uns Willy und seine kleine Familie Richtung Ortseingangsschild, welches wir nach 549 Tagen und 26605 Km weiter gegen frühen Nachmittag erreichen. Wir machen die Biege zum Hufeisensee, der nicht nur zum Planschen, sondern auch der Endpunkt dieser langen Reise sein soll. Ein wirklich toller Moment bei Sektchen, Sonnenschein und Badespaß an unserer Lieblingsbadebucht. Allen, die da waren, sei gesagt, habt Dank für diesen schönen Nachmittag!!!

Jetzt heißt es aber erstmal richtig ankommen, alles sacken lassen und schauen wohin der Wind uns trägt. In den kommenden Wochen werden wir sicherlich noch einmal von uns hören lassen, denn es gibt da noch etwas…

Also bis bald und liebe Grüße eure Strampeltiere Dominic und Silvio

11 Kommentare

  1. Anke aus dem Kufsteiner Weg

    Hallo ihr beiden und willkommen in der Heimat. Schön dass ihr gesund und munter wieder zurück seid. Vielen Dank für diese tollen Reiseberichte. Es war unglaublich schön uns auf diese Art mitzunehmen. Herzliche Grüße aus Le.😁

    • radler

      Hallo Ihr Beiden,

      habt Dank für die Blumen und schön das Ihr uns so regelmäßig am Ball geblieben seid, dass freut uns sehr! Uns geht es gut und wir kommen so nach und nach an in good old tschööörmany.

      Gedrückt

  2. uwe und maren

    Hola Keri. Das war nochmal ´n phantastischer Reisebericht, auch wenn´s der letzte war. Lese oft in den vorangegangenen Etappen, das macht immer wieder Spaß. Schade, daß ich an dem Samstag nicht dazustossen konnte. Hab´s sklavereibezogen doch nicht mehr geschafft, und später hast du mein Telefon nicht mehr gehört. Alles in allem: ich bin happy, dich bald wieder in Halle zu sehen und mit dir zu quatschen. Herzliche Grüße von Uwe und Maren.

    • radler

      Hallo Freunde,

      schön das Euch das Lesen Spaß gemacht hat, genau deshalb haben wir das gemacht. Dirk schwingt dieses Woche evtl. den Kochlöffel und lädt zum Schmaus ein, ich hoffe Ihr kommt auch und dann knuddeln wir so richtig dicke und erzählen uns tolle Geschichten 🙂

      Bis dahin gegrüßt

  3. Mathias

    Hey ihr zwei. Habt ihr es also geschafft und seid wieder in der Heimat. War schön euch im Outback zu treffen und ein paar Stunden gemeinsam zu verbringen. Liebe Grüsse aus Neuseeland und wer weiss, vielleicht ja eine Tages im Osten oder in der Schweiz. Mathias http://www.umunum.ch

    • radler

      Tachchen Mathias,

      ja, den Abend werden wir nicht vergessen, war Klasse! Wir folgen weiterhin Deinen Spuren und hoffen der Weg ist noch lang und traumhaft schön. Wir würden uns sehr über ein Treffen freuen, irgendwann dann, wenn Du wieder zurück bist. Aber nun erstmal volle Kraft voraus und ganz viel Rückenwind 🙂

      Viel Spaß und liebe Grüße

  4. Ina & Mirko

    Hey Ihr Radnomaden,
    schön zu lesen, dass Eure Ankunft in der Heimat rundum gelungen waren! Das macht uns Mut für die letzten 1.000km. 😀
    Auch wenn wir E-Mail technisch in einer Art „Schreibblockade“ stecken, denken wir oft an Euch und freuen uns auf ein hoffentlich zeitnahes Wiedersehen…
    Eure Radgurken Mirko & Ina

    • radler

      Hey Ihr zwei,

      schön von Euch zu lesen 🙂 Ja die Ankunft war super und entspannter als wir dachten. UnDabErHallO, na klar wollen wir Euch bald Wiedersehen und sind gespannt wie Bolle auf Eure Erlebnisse. We stay in contact und lassen Euch aber erstmal gaaaanz entspannt ankommen. Genießt diesen tollen Augenblick mit all Euren Lieben und die Ankunft in der Heimat!!! Wir hören irgendwann voneinander, versprochen 🙂 Gute Heimfahrt und beste Grüße

  5. Doreen

    Hallo Keri,

    ich war und bin immer noch voll begeistert über eure Berichte und schade, dass sie jetzt aufhören. Eure ganze Zeit habe ich aufmerksam verfolgt und es ist was gaaanz tolles, was ihr erleben durftet bzw. das ihr dies gemacht habt.
    LG und sei ganz lieb gedrückt Doreen (Hamburg … ehemals Ha-Neu Rennbahn 🙂

    • radler

      Hallo Doreen,

      das is ja nen Ding und schön das es Dir gefallen hat, freut uns! Ja, das Abenteuer ist nun leider zu Ende, hätte ruhig noch etwas weitergehen können. Aber wir sind ja noch jung und wer weiß, vielleicht gibt es auch irgendwann mal wieder eine Fortsetzung, hätte schon Lust zu ;). Kannst mich gerne mal anmailen über Kontakt und deine Teller. hinterlassen. Würde gerne mal mit Dir am Telefon schnaggen

  6. Till

    Hallo ihr zwei. Viel zu spät senden wir unsere Glückwünsche. Wir hoffen wir können uns Anfang des nächsten Jahres Mal in der Heimat treffen und alte Geschichten austauschen. Man muss ja wieder etwas Vorfreude erzeugen (im Geiste planen wir bereits die nächste Reise). Wir wünschen euch dass ihr euch bereits wieder gut zu Hause eingefunden habt und senden liebe Grüße aus Down Under. Janine und Till

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